Warum?
Es gibt Tage, an denen ich mich
frage, warum alles so ist, wie es ist. Warum schreibe ich am liebsten, wenn es
mir schlecht geht, wenn Zweifel mich übermannen, warum entstehen dann die
ehrlichsten Sätze, als bräuchte es den Schmerz, um das Leben zu spüren, es
einzufangen und festzuhalten. Warum muss Liebe immer auch wehtun? Kann Liebe
nicht sein wie ein kitschiger Roman, nichts als Händchenhalten und Lachen und
Leidenschaft, ein kurzer Streit, eine vorhersehbare Tragödie, dann aber gleich
wieder Sonnenschein und Blumenwiese? Warum kommt der Paketdienst immer dann,
wenn niemand zu Hause ist, und der Überraschungsbesuch, wenn man unter der
Dusche steht oder nackt herumläuft oder die eine alte ausgewaschene und mit
Löchern verzierte Hose anhat, mit der man niemanden empfangen will? Warum glauben
Menschen an einfache Lösungen für komplexe Probleme und geben jenen ihre
Stimme, die mit Ängsten spielen und hetzen und irgendwann nicht davor
zurückschrecken werden, sich auch gegen jene zu wenden, die sie heute wählen? Warum
sagt man als Elternteil Sätze, die man als Kinder geschworen hat, niemals,
wirklich niemals zu sagen, wenn man selbst irgendwann Kinder haben wird? Warum stemmen
Menschen Gewichte, (ver)formen ihren Körper, bedecken ihre Gesichter mit irgendwelchen
schädlichen Farbtinkturen, die sie aussehen lassen wie die Solarium-verbrannte Ausgabe
von Winnetou, anstatt zu sagen: Hey, ich und das Leben, wir kämpfen halt miteinander,
und ja, das sieht man dann auch. Warum fragt jeder: Na, wie geht´s, obwohl das kaum
jemanden interessiert, und warum lautet die Antwort: Danke, gut, obwohl man
Rückenschmerzen hat oder Kopfweh oder Sorgen, und endlos erschöpft
ist, weil die Nacht rastlos Gedanken flüstert, die einem vom Schlaf abhalten? Woher
stammt die blöde Idee, dass Schafe-Zählen beim Einschlafen helfen soll, und
warum kommt das in Kinderbüchern vor, die wir den Kleinen vorlesen, obwohl wir
wissen, dass das gar nichts bringt? Warum gehen wir ständig Kompromisse ein,
machen uns selbst was vor, richten uns nach anderen und so vielem, anstatt das
zu sein, was man immer schon sein wollte, vorausgesetzt, man weiß das überhaupt
noch? Wie ist es dazu gekommen, dass der Akkustand des Handys und der Empfang und
die Likes und Follower oder eben ausgebliebenen Likes und Followers über unser
Glücksempfinden bestimmen? Warum sind wir uns nicht mehr selbst genug? Warum
nur ist die Geschichte nicht unsere Geschichte und das Leben nicht wirklich ein
Spiel, an dem wir aktiv teilnehmen, es gestalten nach unseren Vorstellungen und
Wünschen, es formen und lenken, daraus lernen und daran wachsen? Warum laufen
wir ständig herum ohne uns fortzubewegen, warum sind wir nicht ehrlich, warum
nicht wenigstens zu uns selbst? Und warum hören wir mit all dem nicht einfach
auf, jetzt, hier und sofort?
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