offener Brief


Werter Herr Direktor Kosta,
bald ist Weihnachten. Was wünschen Sie sich zu Weihnachten? Ich – falls es Sie interessiert – wünsche mir eher kleine Dinge. Der Konsum ist unsere neue Religion. Dagegen wehre ich mich, soweit das überhaupt möglich ist. Die Aufmerksamkeit soll auf anderes gerichtet werden. Auf etwas, das mit Werten zu tun hat. Gerade in dieser Zeit. Immer noch schreibe ich eine Wunschliste, genau so eine, wie ich sie schon als Kind verfasst habe. Nur lege ich sie nicht vors Fenster, denn es kommt höchstens der Wind und bläst das Blatt davon. Nein, ich kleb mir den Zettel an eine Wand, an der ich immer wieder vorbeikomme. Damit in Erinnerung bleibt, was wichtig ist. Das hilft. Da stehen Begrifflichkeiten drauf, die, wie mir scheint, durchaus wünschenswert sind. Von Respekt ist die Rede. Offenheit auch. Oder von Mut. Ja, Mut. Dieses eine Wort sticht besonders hervor. Vielleicht deshalb, weil ich nicht verstehen kann, wovor Sie sich gefürchtet haben, als Sie mir haben schreiben lassen: Ich möchte nicht in ein Wespennest stechen.

Ich war eingeladen, an den Vorbereitungen zu den heurigen Silvestergesprächen der Raiffeisenkasse Bruneck mitzuwirken. Die Idee, die Geschichte meines neuen Buches KLEINSTADTIDYLL (Edition Raetia) als Thema des Abends zu wählen, lag dem zugrunde. Dabei kam die Idee nicht einmal von mir, hat mich aber sofort begeistert. Die Kleinstrukturiertheit, das Provinzielle in all seinen Facetten wirtschaftlich zu beleuchten, eine Diskussion mit ausgewählten Gästen zu führen, die Vor- und Nachteile solcher Systeme und ihrer Auswüchse zu besprechen. Das fand ich gut, und ja, auch passend. Das fanden auch Ihre Mitarbeiterinnen. Und anfangs auch Sie. Bis Sie das Buch gelesen haben. Gleich danach kam die Absage. Eine Absage, nicht etwa mit der Begründung, die Geschichte gefalle Ihnen nicht. Auch nicht, dass sich der Kern der Erzählung nur schwer als Thema des Abends verarbeiten ließe. Oder dass ich kein geeigneter Gast sei. All das und anderes mehr wäre nachvollziehbar gewesen. Aber nein, es kam ein Satz als Absage, der hängengeblieben ist und mich letztendlich dazu bewegt hat, Ihnen zu schreiben, denn dahinter lässt sich ein Gedanke erahnen, der auf eine besondere Facette der Geschichte Bezug nimmt: Auf den Missbrauch. Die Befürchtung, so lese ich es, deshalb in ein Wespennest zu stechen.
Der Klarheit wegen: Auf Ihre Entscheidung soll dieses Schreiben nicht einwirken. Könnte es sowieso nicht. Sie ist gefällt. Ihre Aussage aber und das, was mit ihr verbunden ist, darum geht es. Und nur darum. Weil das Versteckspiel, das Nicht-aussprechen-Wollen, also die Mauer des Schweigens eben nicht nur in meiner Geschichte vorkommt, in dieser Kleinstadt, deren Bewohner das Schreckliche immer nur anderswo vermuten.
Welches Wespennest? Wir hätten das Thema des sexuellen Missbrauchs durch den Geistlichen im Gespräch vielleicht gestreift, das darf man, das soll man. Ein Thema, das ohnehin immer und immer wieder medial aufbereitet wird (zu Recht), es ist – leider – ein wiederkehrendes Trauma. Im Grunde geht es in der Geschichte um Macht und um Machtmissbrauch im Allgemeinen. Das eine, wie wir wissen, ist unweigerlich mit dem anderen verbunden. Durch Ihre Absagebegründung aber wurde diese eine Facette des Machtmissbrauchs erneut mit Bedeutung beladen. Um genau zu sein der Umstand, dass ein sexueller (Macht)Missbrauch durch einen Priester, dass dieser Teil der Geschichte in der heutigen, doch so aufgeklärten Zeit, die Veranstaltung, wie wir sie geplant hatten, hat platzen lassen.
Wissen Sie, Herr Direktor, man schreibt Geschichten und orientiert sich dabei an der Realität. Ein schmaler Grat, den man gedanklich geht, auf der Suche nach einer Erklärung für das Mögliche. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, eine Wirklichkeit, die sich am Ende immer noch als brutaler, unerwarteter, skurriler und variantenreicher herausgestellt hat, als man sie erdacht hat. Und so hat die Realität auch dieses Mal die Geschichte eingeholt. Und mit einem einzigen Satz bestätigt, dass die Kleinstadt und ihre Mechanismen funktionieren. Dass man sich lieber gegenseitig auf die Schultern klopft und mit einem alles zudeckenden Lächeln die Fassade präsentiert, hinter der man die weniger schönen Themen längst schon wieder begraben hat.

Lange habe ich überlegt, ob ich Ihnen überhaupt schreiben soll. Zuerst stand die Frage im Raum, was es überhaupt bringt. Nichts, das war meine Antwort. Aber stellen Sie sich vor, plötzlich stand Sophie auf der Schwelle und wollte gehört werden: Wer so denkt, hat schon aufgegeben. Das hat sie gesagt. Und wohl recht damit. Da sie das Buch gelesen haben, muss ich auf Sophies unbändigen Willen und ihre Beharrlichkeit nicht eingehen. Sie kann ganz schön stur sein. Hat nicht jeder insgeheim den Wunsch, wenigstens etwas von der kleinen Sophie in sich zu tragen?

Ich bin Ihnen nicht böse. Ich wäre aber mir böse gewesen, wenn ich nicht geantwortet hätte. Mir bleibt, Ihnen ein frohes Fest zu wünschen. Und vielleicht ein klein wenig mehr Mut. Veränderung bringt letztendlich durchaus auch Gutes hervor. Und das, Herr Kosta, dürfen Sie mir ruhig glauben.

Besinnliche Feiertage wünscht

Horst Moser

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