Gegen die Radikalisierung von Sprache


Zuerst sind es nur Worte, danach folgt Gewalt. Das war schon immer so.

Aus allen Winkeln kriechen sie und werfen Sätze um sich, die vor wenigen Jahren noch unsagbar schienen, als gäbe es nicht Schulunterricht und Geschichtsbücher, die einem realitätsnah beibringen, welche Plage manche politische Position übers Land hat ziehen lassen. Falsche Propheten, die am Ende doch nur aus eigenem Interesse handeln, gelenkt einzig vom Streben nach Macht. Dabei hat Macht die besondere Eigenschaft, meist das schlechteste im Menschen an die Oberfläche zu befördern.

Es waren viele in Europa, die Trump zugerufen haben. Besonders während des Wahlkampfes. Auch hier in old europe ist man empfänglich für heilsbringende Sprüche, schnelle und einfache Lösungen, das Ich vor dem Wir. Eine altbekannte Masche, vorgetragen von vermeintlich starken Männern mit dominantem Auftreten als Markenzeichen und einem einprägsamen Slogan als Waffe. Neue Weltenführer, die manchmal undurchschaubare, unvorhersehbare, vielleicht sogar wenig durchdachte Alleingänge vollziehen, ohne Rücksicht auf fragile internationale Übereinkommen, die dadurch ins Wanken geraten. Vorschläge werden in alter Westernmanier mal schnell aus der Hüfte geschossen, um geopolitische Positionen zu festigen, Kollateralschäden in Kauf nehmend, verbrannten Boden zurücklassend. Dabei sind gerade Armut und Aussichtslosigkeit bekannte Fluchtgründe und damit im Grunde das einzig wirklich Bekämpfenswerte. Aber wen interessiert das schon, make my Heimatland great again, das klingt doch viel verlockender, Kurzsichtigkeit inklusive, von Washington bis zum alpenländischen Bergdorf. Jeder Zusammenhang zwischen dem, was da draußen passiert und unserer Art zu leben, wird totgeschwiegen oder ausgeblendet. Dafür macht sich ein grenzübergreifender Fanatismus breit, mit Faible für alte Grenzen. Man könnte es auch als Doppelmoral par excellence bezeichnen. Vermittelt, neben den Bildern, durch Artikulation.

Wenn die Sprache als Ausdruck der eigenen Ansichten dient, aber jeder Anspruch auf Wahrheitsgehalt außen vor bleibt, wird sie zum nackten Emotionsübermittler, während der Diskurs vor der Tür bleibt. Am Beispiel erkennbar, dass die einen blind sind für jedes Problem beim Thema Zuwanderung und Integration, während die anderen eifrig über Völkeraustausch sinnieren. Gesprochen wird nur übereinander, nie aber miteinander. Wenn die Auseinandersetzung durch Aussprache fehlt, sind die festgefahrenen Feindbilder umso größer. Auf beiden Seiten.
Vorbilder finden ihre Nachahmer, in Europa, Asien oder überm großen Teich. Menschen, die in der Öffentlichkeit agieren, verschieben immer öfter die sprachlichen Grenzen, auf die sich die Welt nach dem großen Krieg mit wenigen Ausnahmen irgendwann geeinigt hat, ohne dass dazu ein internationaler Vertrag nötig gewesen wäre. Und diese sprachliche Grenzverschiebung findet heute, plötzlich und kaum bemerkt, auch in der Gesellschaft statt, im Alltag, im gemeinen Sprachgebrauch des Nachbarn, des Bekannten, des Arbeitskollegen. Wenn Frauen, Fremde und Andersdenkende im seichten Witz vorkommen, in der versteckten Andeutung, im leisen Kommentar. Und obwohl es niemand wirklich böse meint, gibt es Wörter dafür: Vorverurteilung, Herabwürdigung, Stigmatisierung. Es findet ein Sprachmissbrauch statt, und auch das ist nicht neu.

Sprache ist Werkzeug ist Verständigung, Sprache ist der Versuch des gegenseitigen Verstehens. Sprache ist Schutzschild und Waffe, ist ein gefährliches Instrument. Wie die Schlagwörter, die ohne Gegenwehr Hemmungen überwinden, weil sie vereinfachen, versprechen, verleugnen, am Ende verführen und Unsagbares sagbar machen. Extremismus, egal von welchem Lager er kommt, liegt meist Hass zu Grunde. Hass, der seinen Ausdruck nicht zuletzt in der Sprache findet. Und in der Radikalisierung von Sprache. Verkommt sie, verkommt auch der Umgang. Die Verrohung der Sprache ist der erste Schritt zur Verrohung des zwischenmenschlichen Umgangs. Deshalb gilt: Wer die Sprache verteidigt, verteidigt damit auch unsere Werte. Und das ist etwas, das jeder tun kann.

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